Australiens Energiesystem befindet sich im Wandel – und ebenso seine Märkte. Ende 2024 startete eine vierköpfige Expertenkommission unter der Leitung von Tim Nelson eine Überprüfung des NEM und seiner Großhandelseinstellungen. Die ersten Empfehlungen des mittlerweile weithin bekannten „Nelson-Reviews“ wurden im August 2025 veröffentlicht, zur Konsultation, bevor die endgültigen Empfehlungen Ende des Jahres erscheinen.
Für unsere Analyse der ersten Empfehlungen lesen Sie unseren Artikel hier.
Kürzlich war Tim Nelson bei Transmission zu Gast, um über die Überprüfung zu sprechen, unter anderem zu folgenden Themen:
- Den bisherigen Fortschritt und die Empfehlungen der Überprüfung;
- Welche internationalen Märkte und Reformen das Gremium beeinflusst haben;
- Warum die Entscheidung getroffen wurde, an bestimmten Marktelementen festzuhalten oder diese zu ändern;
- Wie der Electricity Services Entry Mechanism (ESEM) neue Kapazitäten für erneuerbare Energien und Batteriespeicher unterstützt.
Wichtige Erkenntnisse
1. Das Risikoprofil des NEM ändert sich grundlegend
Die Überprüfung geht davon aus, dass der Energy-Only-Markt nicht „kaputt“ ist, aber die Risikostruktur hat sich verschoben. Sowohl Nachfrage als auch Angebot sind nun wetterabhängig, wodurch Preisergebnisse weniger von Kohle und stärker von erneuerbaren Energien beeinflusst werden.
Eine zentrale Botschaft lautet: Volatilität nicht unterdrücken, sondern besser steuern. Dies führt zu einigen der wichtigsten Empfehlungen der Überprüfung.
2. Mehr Sichtbarkeit für dezentrale Ressourcen steht bevor
Batterien hinter dem Zähler, VPPs und andere preissensitive Lasten sind inzwischen zu groß, um im Netz „unsichtbar“ zu bleiben. Das führt zu erheblichen Verzerrungen in der Prognose und Steuerung des operativen Strombedarfs.
Die Überprüfung signalisiert, dass Sichtbarkeit vor Steuerbarkeit verpflichtend eingeführt wird – und rückt damit von der ursprünglichen Idee ab, kleine Anlagen wie Großkraftwerke bieten zu lassen.
3. Derivate werden mit neuen Produkten für Risiken des Erneuerbaren-Zeitalters modernisiert
Das Gremium stellt klar: Swaps und Caps wurden für Kohle entwickelt, nicht für ein System, das von Wind, Sonne und Batterien dominiert wird. Eine neue Palette standardisierter Shaping- und Firming-Verträge wird gemeinsam mit der Branche entworfen und regelmäßig aktualisiert.
Das ist wichtig, weil:
- Es die Liquidität im Risikomanagement erhöht;
- Batterien zuverlässigere Instrumente zur Absicherung von Einnahmen erhalten;
- Das Basisrisiko zwischen Betrieb und Vertragsstruktur sinkt.
Dies ist eine der größten, aber bislang wenig diskutierten Reformen mit direkter finanzieller Auswirkung auf BESS-Anlagen.
4. Der ESEM (Electricity Services Entry Mechanism) adressiert gezielt das Laufzeiten-Problem
Das größte Hindernis für neue Investitionen im NEM ist der Mangel an langfristigen Abnehmern. Energieversorger erwarten sinkende Kosten und meiden daher lange PPAs, während Investoren langfristige Sicherheit für die Finanzierung benötigen.
Der ESEM:
- Verlangt von jedem Projekt mindestens 3 Jahre In-Market-Verträge;
- Ermöglicht anschließend die Teilnahme an einer langfristigen Unterzeichnungsvergabe per Rückwärtsauktion;
- Nutzt Derivate statt garantierter Mindesterlöse, um Risiken temporär zu bündeln;
- Erlaubt es Entwicklern, den Vertrag zurückzukaufen und später auf Merchant- oder andere Strategien umzusteigen.
Das ist eine flexiblere, weniger eingreifende Version von CIS/LTESA und beinhaltet Shaping- und Firming-Dienstleistungen.
5. Häufige ESEM-Auktionen und mehr Transparenz verbessern die Preisfindung
Tim betont, dass das Ziel ist, ESEM-Auktionen regelmäßig durchzuführen, mit Veröffentlichung der Preise pro Runde, um den Wettbewerb zu maximieren.
„Wir denken, diese Prozesse sollten ziemlich häufig stattfinden… wir wollen Wettbewerb über mehrere Runden hinweg schaffen, nicht nur innerhalb eines Prozesses.“
Transparenz bei den Preisen gibt es bei CIS und LTESA bislang nicht. Das würde bedeuten:
- Investoren können vergleichen, ob ihre Gebote wettbewerbsfähig sind;
- Speicherbetreiber sehen den erwarteten Wert für die kommenden Jahre;
- Entwickler können Multi-Asset-Pipelines mit Zuversicht aufbauen;
- Finanzierer erhalten marktgetestete Preise statt individueller PPAs.
Dies ist wohl eine der wichtigsten Entwicklungen für Investitionsklarheit im NEM.
6. Marktpreis-Einstellungen (MPC, CPT) könnten sich weiterentwickeln
Die Überprüfung schlägt eine künftige Differenzierung der Preisobergrenzen je nach Systemzustand vor. Anstelle einer einheitlichen Preisobergrenze könnte das System zu zustandsbasierten Preislimits übergehen – was den Arbitragewert von BESS während volatiler Ereignisse verschiebt.
Ein vierjähriger Zyklus zur Überprüfung von Struktur und Form (nicht nur der Werte) von MPC/CPT ist vorgesehen.
Das eröffnet Möglichkeiten für:
- Längere Hochpreisphasen (vorteilhaft für Langzeitspeicher und Spitzenlastkraftwerke);
- Gezieltere Knappheitspreise;
- Bessere Anpassung an die Risikoverteilung erneuerbarer Energien.
7. Eine formale Market-Making-Pflicht (MMO) kommt
Das Gremium macht keinen Hehl daraus: Die Liquidität am Derivatemarkt ist ein Problem, besonders in Südaustralien. Eine neue Market-Making-Pflicht wird voraussichtlich nach der Konsultation bestehen bleiben, auch wenn sie angepasst wird. Dies sollte die Liquidität für an der ASX gehandelte Derivate verbessern.
Für Batteriebetreiber bedeutet mehr Liquidität eine verbesserte Transparenz und Zugang zu Hedging-Möglichkeiten durch den Handel mit Produkten wie Caps.
8. Es wird einen Umsetzungsfahrplan im Abschlussbericht geben
Tim stellt klar, dass es sich nicht nur um eine konzeptionelle Überprüfung handelt. Das Gremium soll einen Schritt-für-Schritt-Plan für die Minister vorlegen:
„Wir sind verpflichtet, einen Umsetzungsfahrplan zu veröffentlichen… mit einem Zeitplan für… Gesetzgebung, Regeländerungen, Durchführung des Vertrags-Co-Design-Prozesses…“
Der Abschlussbericht wird also nicht nur sagen, was zu tun ist, sondern auch ungefähr wann und in welcher Reihenfolge:
- Gesetzgebung zur Einführung des ESEM und verwandter Rahmenwerke;
- Regeländerungen für Themen wie Derivate, Market-Making-Pflichten, Sichtbarkeitsanforderungen und Preisbildungsprozesse;
- Aufbau und Durchführung des Vertrags-Co-Designs in wiederkehrenden Zyklen;
- Tatsächliche Durchführung der ESEM-Auktionen mit den neuen Vertragsmodellen.
9. Tims Zeitplan: Der ESEM könnte Ende 2026 starten
Letztlich könnten die ersten Empfehlungen der Überprüfung schon 2026 umgesetzt werden. Tim gibt eine recht konkrete Einschätzung zum Zeitrahmen:
„Sobald der Fahrplan von den Ministern geprüft wurde, sehen wir keinen wirklichen Grund, warum das nicht bis Ende nächsten Jahres oder Anfang des darauffolgenden Jahres laufen könnte.“
Tims Argument: Das ist Evolution, keine Neugründung einer Institution. Die Strukturen bestehen bereits und können umfunktioniert werden. Er verweist speziell auf bestehende CIS/LTESA-Teams bei der ASL, die den ESEM-Prozess übernehmen könnten, sowie auf ähnliche Teams bei der AER, die sich auf MMO fokussieren könnten.
Er betont jedoch, dass dies kein fester Zeitplan ist; alles hängt von der politischen Zustimmung ab.
Fazit: Schnelle Umsetzung ist möglich – aber nur, wenn die Minister überzeugt sind, dass ESEM und die begleitenden Reformen die Systemkosten senken und den Übergang absichern.





